CESNUR, Alleanza Cattolica und die Religionsfreiheit. Thomas Gandow. BERLINER DIALOG, Heft
2-97.
Die nach Selbsteinschätzung "größte Wissenschaftler-Vereinigung zu neuen religiösen Bewegungen" des Italieners Massimo Introvigne hat zum Thema Neue Religiöse Bewegungen "die größte Bibliothek in Europa mit mehr als 8.000 Büchern", schreibt der "direttore" der Vereinigung in einem Selbstempfehlungsschreiben ("CESNUR ... would be pleased to offer its assistance") mit Datum vom 7.5.1996 an die Bundestagspräsidentin. Deutschen Bibliotheksfachleuten imponiert
dies wenig: Introvignes Büchersammlung bewege sich im quantitative
Rahmen einer "durchschnittlichen deutschen Dorfpastorenbibliothek". Auch
Fachleute für Sekten- und Weltanschauungsfragen zeigen sich von den
Größenordnungen der CESNUR-Sammlung kaum beeindruckt. Fragen
gestellt werden vor allem zur wissenschaftlichen Seriosität und Unabhängigkeit
des Privatinstituts, dessen Betreiber sich nicht nur als "Religionswissenschaftler"
(Introvigne ist Jurist), sondern auch "als Freunde und Wächter der
Religionsfreiheit" vorstellen.
CESNUR: "Deutsche Verstöße gegen Religionsfreiheit" Als solcher zeigt sich Introvigne "tief verstört über die Gerüchte von religiöser Intoleranz und Diskriminierung gegen einige Minderheiten" in Deutschland. Die parlamentarische Untersuchung über sogenannte Sekten und Psychogruppen durch die Enquete-Kommission des deutschen Parlaments scheint ihm, so schreibt er "gesponsort durch Teile der Lutherischen Kirche, die schon eine ganze Liste von Kooperation mit der internationalen Anti-Kult-Bewegung haben", die wiederum geprägt sei von einer "Haltung von Fanatismus und mangelnder Achtung der Religionsfreiheit". Bereits in seiner "öffentlichen Stellungnahme:
Wissenschaftler fordern Beendigung der deutschen Verstöße gegen
Religionsfreiheit" vom 15. August 1996 hatte M. Introvigne als "Vorsitzender"
von "CESNUR International" zusammen mit dem methodistischen Pastor Gordon
Melton als "Chairman CESNUR U.S.A." in Deutschland Zeichen "eines äußerst
gefährliche Fanatismus" die an "die dunkelsten Zeiten der jüngsten
europäischen Geschichte" erinnerten, festgestellt.
Unabhängig gegen "Sektenkeule" Die VPM-nahe Zeitschrift Zeit-Fragen schreibt in ihrer Nr. 32 vom Nov./Dez. 1996 unter der überschrift "Anti-'Sekten'- Aktivismus gefährdet Demokratie und Menschenrechte - Wissenschaftler gegen Hexenjagd mit der 'Sektenkeule'": "Das Centre d'Etudes des Nouvelles Religions (CESNUR) ist ein internationales Netzwerk von Fachvereinigungen, die sich wissenschaftlich mit neuen religiösen Bewegungen befassen. Geleitet wird CESNUR vom italienischen Historiker und Soziologen Professor Massimo Introvigne. Das 1988 gegründete Zentrum mit Sitz in Turin ist absolut unabhängig von jeder religiösen Bewegung, Gruppe oder Vereinigung." Als Vertreter von CES- NUR werden in diesem Artikel "Dr. Ermanno Pavesi (Vorsitz), Prof. Massimo Introvigne, Prof. Eileen Barker und Olivier-Louis Séguy" genannt. ähnlich heißt es in der von CESNUR im Selbstverlag herausgegebenen Kampfschrift "Pour en finir avec les Sectes", CESNUR sei "unabhängig von irgendeiner Kirche, Religion oder Bewegung". In seinem Fax an die Bundestagspräsidentin behauptet Introvigne selbst, sein Institut sei "unabhängig von jeder religiösen Körperschaft, einschließlich der römisch-katholischen Kirche". Diese Auskunft stimmt leider nur bedingt. Richtig ist zwar, daß sich der Vatikan recht deutlich von Introvigne und seinem Institut distanziert. (Vergleiche Schreiben des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog). Dem BERLINER DIALOG liegen aber Hinweise
über die nicht unwichtigen, wenn auch etwas unorthodoxen ideologischen
und organisatorischen Hintergründe von CESNUR vor.
Kämpferisch: Alleanza Cattolica CESNUR ist nämlich anscheinend eine der Frontorganisationen der rechtskatholischen Organisation "Alleanza Cattolica", die in Italien wohl die Stelle der extremen Organisation "TFP" (Tradition, Family, Property) einnimmt. In einer Selbstdarstellung der AC (<http://www.agonet.it/cristianita/7ABB>; 15.1.1997) heißt es: "Alleanza Cattolica ist eine bürgerlich-kulturelle Körperschaft von katholischen Laien ... die sich die positive und auch apologetische Verbreitung und Verwirklichung der Soziallehre" der römisch-katholischen Kirche - wie es heißt "auf kämpferische Weise" zum Ziel gesetzt hat. Endziel soll der "Aufbau einer christlichen,
weltlichen Ordnung" sein, einer Gesellschaft, die sich "bewußt innerhalb
der Grenzen, die durch die Lehre und die Moral der Kirche gesetzt sind"
orientiert. In der Selbstdarstellung heißt es, die Hoffnung auf die
Errichtung eines solchen römisch-katholischen Gemeinwesens schon in
dieser Welt werde unterstützt durch das Versprechen der Madonna von
Fatima: "Schließlich wird mein unbeflecktes Herz triumphieren".
Man will also für die "kulturelle und zivile Restauration" sowie für eine "soziale Restauration", "auch auf kämpferische Weise" arbeiten. Als Gegner identifiziert hat man schon "all jene Kräfte, die zum Ziel haben, die moralische und lehrmäßige Lüge eines Antidekalogs durchzusetzen". Dabei hat man "den historischen Prozeß, der sich aus der Krise der Aufklärung, des Protestantismus und des Sozialkommunismus und anderer ergibt, die durch Revolution sich an die Stelle von Gott und seinem Gesetz setzen wollen" im Blick. Daß es nicht beim bloßen Theoretisieren
bleibt, dafür sorgen Bildungsveranstaltungen und die "Herausgabe und
militante Verbreitung der Monatsschrift 'Christianita'" sowie verschiedene
Frontorganisationen: "Streiter der Alleanza Cattolica stehen unter anderem
am Anfang von CESNUR, Centro Studi Nuovo Religioni, von IDIS, Institut
für soziale Doktrine und Information, von ISIN, Institut für
die Geschichte des Aufstandes" (der italienischen Revolution).
Consultore del Capitolo Nazionale Gründer und nationaler Leiter der AC ist ein Giovanni Cantoni, dem inzwischen 10 Regionalleiter zu Seite stehen. Daneben verfügt die AC, wie ein Orden, als Führungsstruktur über ein "Nationales Kapitel". Als "Consultore del Capitolo Nazionale" werden Massimo Introvigne, Giulio Soldani, Ermanno Pavesi, Ferdinando Leotta und Pietro Cantoni aufgeführt. Introvigne hat aus seiner engen Zugehörigkeit zur AC (er trat der AC schon vor dem 18. Lebensjahr bei und gehört ihr bis heute an) kein Hehl gemacht. Aber erst die personelle und ideologische
Zugehörigkeit zu einer Organisation, zu der "absolut keine Liberalen
gehören" und die organisatorische Verbindung von CESNUR und AC wirft
das rechte Licht auf die engagierte Konferenz- Prozeß- und Reisetätigkeit
des sonst so ganz unabhängig und neutral agierenden "Consultore" und
"Religionswissenschaftlers".
Übersetzung für
DIALOG: E. Kaufmann
"Keine Räume des Europa-Parlaments für Scientology-Aktionen" Das fordert die Europaabgeordnete Maren Günther (CSU). Sie hatte an die Verwaltung des Europa-Parlaments in Straßburg appelliert, keine Räume für eine Veranstaltung mit möglichen Scientology-Sympathisanten bereitzustellen. Die Abgeordnete kritisierte damit eine Veranstaltung am 13. Mai im Straßburger Parlamentsgebäude zum Thema "Kulte in Europa: Gehirnwäsche oder Religionsfreiheit". Eingeladen dazu hatte das umstrittene private Institut CESNUR des Italieners Massimo Introvigne. Finanzierung und Hintergrund des Instituts seien völlig unklar. Bei den angekündigten Referenten handele es sich nach Günther um Wissenschaftler, die sich für die Anerkennung von Scientology als Religionsgemeinschaft stark machen. Die Europaabgeordnete äußerte die Vermutung, das Institut werde von Scientology für deren Zwecke instrumentalisiert. "Das Europäische Parlament läuft durch die Bereitstellung von Räumen Gefahr, selbst zum Instrument von Scientology zu werden", so die CSU-Politikerin. (epd ZA 30. April 1997)
Im BERLINER DIALOG (4-96) hatten wir die
Reisefreudigkeit von Massimo Introvigne und seine engagierte Teilnahme
bei verschiedenen Prozessen um Sekten und Kulte gewürdigt. Wir hatten
auch eine von der deutschen Scientology-Organisation im Herbst 1996 verbreitete
Resolution vom 21. August 1996 zu Gunsten der SO zitiert, die u.a. die
Namen von M. Introvigne und G. Melton trägt.
Mißbrauch der Unterschrift? Massimo Introvigne hat uns gegenüber inzwischen angegeben, er habe diese Erklärung nicht unterschrieben, sondern vielmehr bezüglich der Verbreitung dieser Resolution mit seinem Namen einen "Warnbrief" per Einschreiben an die italienische "Church of Scientology" gesandt und mit juristischen Schritten gedroht. "daß" oder "ob" In einer Antwort der Scientologen werde "anerkannt", behauptet Introvigne, "daß das einzige Schriftstück, das ich unterzeichnet habe, dasjenige ist, dessen Unterzeichner nur Dr. Gordon J. Melton und ich sind". In dem Schreiben der italienischen SO werde auch bestätigt, "daß die deutsche Church of Scientology aufgefordert worden ist, diese Information jedem Interessierten gegenüber zu bestätigen." Nun hat Introvigne inzwischen
möglicherweise bereits mehrere "Public Statements" unterzeichnet,
so daß ihm vielleicht die übersicht abhanden gekommen ist; jedenfalls
liegen der Redaktion des BERLINER DIALOG mehr als eine von M. Introvigne
unterzeichnete Erklärung vor. Der Redaktion sind auch die Schreiben
Introvignes und der italienischen SO zu obigem Vorgang bekannt. Tatsächlich
hat die SO darin lediglich den Eingang seines Schreibens bestätigt.
Die SO schreibt: "daß wir die Chiesa di Scientology in Germania benachrichtigt
und aufgefordert haben zu überprüfen, ob das einzige von Ihnen
unterschriebene Dokument bezüglich der religiösen Diskriminierung
in Deutschland gegenüber Scientology die von CESNUR übersandte
Pressemitteilung ist, die zusammen mit Professor Melton unterzeichnet wurde.
Soviel um Klarheit zu schaffen, im Falle, daß ein Mißverständnis
bezüglich der unterschiedlichen, in den letzten Monaten unterschriebenen
Unterlagen entstanden sein sollte."
Die Redaktion des BERLINER DIALOG hält
ihr Angebot aufrecht, M. Introvigne bei der Abwehr etwa unberechtigter
Inanspruchnahme durch die SO zu unterstützen.
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